Der Film Parasite. Klassenkampf gegen sich selbst

Die Anfangsszene enthält bereits den ganzen Film. In ihr sehen wir, wie die Kinder der armen Kim-Familie auf das Toilettenpodest klettern, um die WLAN-Brosamen vom benachbarten Café einzusammeln. Zugang zu dem, was es am besten kann (Südkorea hat das schnellste Internet der Welt), gewährt das Land nur dem, der mitmacht beim Nachobenklettern und bereit ist, sich dort auch mal in den Schmutz zu setzen. Der Aufstieg ist schon möglich, nur führt er zu etwas Anderem als man gedacht hat, hat Nebenwirkungen und Grenzen. Weil er aber tatsächlich eine kleine Veränderung bedeutet, sieht er auch ein bisschen aus wie die erhoffte Verbesserung (Man will es ja auch glauben). Der Glaube daran, ans sanfte Hineinwachsen, verhindert aber das Herausfallen, das notwendig wäre, um tatsächlich hineinzukommen, und zwar ohne falsche Konzessionen.

Kern des Films ist also der blockierte Klassenkampf und seine Schlüsselszene darum die Parodie der entlassenen Haushälterin auf Kim Jong-un. Dessen weihevolles Geschwafel äfft sie im Atombunker derart gekonnt nach, dass die verfeindeten Armenfamilien für einen kurzen Moment im Gelächter zusammenkommen. Anstatt also den gemeinsamen Klassenkampf zu suchen, der den Herrschaften in der Villa Probleme bereiten könnte, verbünden sie sich gegen den Spätkommunismus, der nur noch als Diktatur, Elend und atomare Bedrohung aus dem finsteren Norden denkbar ist. Ihr Bündnis ist damit eines gegen sich selbst, denn nun müssen sie gegeneinander um die Gunst der Reichen buhlen, anstatt ihnen den Marsch zu blasen – was auch dadurch erschwert wird, dass diese Reichen nur wenig Bösartiges an sich haben (sie sind meistens freundlich und bezahlen sogar Wochenend- und Inflationszuschläge); ihre hochvermittelte Herrschaft beruht auf derart feinen Unterschieden, dass man sie kaum zu fassen bekommt. Zusammen mit dem kommunistischen Freund verschwindet so auch der spätkapitalistische Feind in den flachen Hierarchien der Gegenwart. Da die darin eingezogenen kleinen aber nach wie vor große Differenzen und Demütigungen nach sie ziehen (die schon durch ein winziges Naserümpfen ausgelöst werden können), ist ein versöhnlicher Ausgang unmöglich und man kann froh sein, dass der Film keine harmonistisches Ende im volksbündlerischen Kitsch gesucht hat.

Wie geht er also aus? Der Klassenkampf ist verstellt, die Stillstellung ausgeschlossen und so bleibt nur der Gang in den Wahnsinn: Auf dem Indianergeburtstagsfest des kleinen reichen Park-Sohnes schlachten sich die Armen zunächst gegenseitig ab und dann, nach einmal Naserümpfen zuviel, auch den Park-Vater. Der Druck musste raus und als einziges Ventil blieb die Vernichtungsorgie. Die Lehre: Der Klassenkampf ist nicht die Einübung der Zerstörung, sondern deren gehegte Austragung, also letztlich ein Zivilisierungsprogramm. Wer ihn abschafft, führt ihn nur an anderer, intensiverer, leererer, sinnloserer Stelle wieder ein, wo er kaputt macht und nicht befreit.

Byung-Chul Han, in Seoul geborener Philosoph, entdeckte vor zehn Jahren, dass sich der Klassenkampf heute nach innen gewendet habe, das Proletariat (das inzwischen aus kleinen Unternehmereinheiten bestehe, in denen Herr- und Knechtschaft zusammenfallen) also nur noch gegen sich selbst vorgehen könne, wenn es irgendetwas tun will. Sein Zorn führe bloß zu Gewalt oder Depression und mehr sei da nicht. Mit „Parasite“ hat Bong Joon-Ho nun Hans Traktat über die „Psychopolitik“ verfilmt und einen Oscar dafür erhalten. So langsam dämmert es also auch dem Westen, was an seinem letzten südkoreanischen Schrei, den er so gründlich durchkapitalisiert hat wie sonst kaum einen Flecken auf der Erde, schon seit längerem abzulesen war: Dass der Revoltenverzicht an anderer Stelle wieder hochkocht, weshalb hier die Selbstmordrate unter allen OECD-Ländern am höchsten ist und auch die skurrilste Klassen-Clash-Komöde in einem Blutbad enden muss. Doch auch das wird dann noch einmal übertroffen. Denn die größte Unheimlichkeit des Films besteht in seinem Ende nach dem Finale, in dem, selbst nach dem Blutbad, keine Einsicht zur Schärfung des Klassenbewusstseins reift, sondern die Ideologie der Übernahme (Eines Tages werde ich reich, kaufe die Villa und befreie dich aus deinem Keller, Papa) fortlebt. Von der Möglichkeit einer anderen Geschichte hält Bong Joon-Ho offenbar nicht viel. Der Norden wird sie ihm gründlich verdorben haben.

Dieser Text ist zuerst erschienen auf: https://linie89.wordpress.com/2020/02/27/der-film-parasite-klassenkampf-gegen-sich-selbst/