Schlagwort: Berlin
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Der Herbst hat begonnen
Der Herbst hat begonnen. Man verbringt wieder mehr Zeit zu Hause, sitzt im Café und geht in Ausstellungen. Man liest, trinkt Rotwein und findet Zeit zum Nachdenken, gerade jetzt, wo die Welt im ständigem Umbruch scheint: Pandemie, Klimanotstand, nun der Krieg in der Ukraine, die feministische Revolution im Iran und das rechte Wahlergebnis in Italien. Man fragt sich, wohin das alles führen soll und ob aus dem hereinbrechenden Chaos auch wirkliche Veränderungen hervorgehen können. Da ich glaube, dass jede Veränderung mit uns selbst beginnt, mit einem neuen Blick, einem neuen Gefühl, das man der Welt entgegenbringt, habe ich hier eine Liste der Ausstellungen, Bücher und Musik zusammengestellt, die mich in den letzten Tagen berührt haben. Ausstellungen Bis zum 11. Dezember kann man die Ausstellung „Aufbrüche. Abbrüche. Umbrüche. Kunst in Ost-Berlin 1985 — 1995“ der Stiftung Kunstforum der Berliner Volksbank besuchen. Gezeigt wird unter anderem dieser Film mit Interviews verschiedener Künstler:innen (Sabine Peuckert, Manfred Butzmann, Sabine Herrmann und Klaus Killisch, Berndt Wilde, Uta Hünniger und Maria Sewcz). Als Expert:innen des Umbruchs sind sie in gewisser Weise unsere Zeitgenoss:innen. https://kunstforum.berlin/ausstellung/aufbrueche-umbrueche-abbrueche/ https://www.youtube.com/watch?v=Do-WAuetGHo Noch bis zum 23. Oktober kann man in die Ausstellung The Woven Child, die sich mit dem textilen Werk von Louise Bourgeois beschäftigt, im Berliner Gropius Bau gehen. Die Ausstellung ist voller psychoanalytischer Anspielungen zu Mutterschaft und Kindheit, Schmerz und Gefangenschaft, lässt aber auch den Schalk erkennen, den Bourgeois im Nacken hatte. Unbedingt zu empfehlen ist auch die Folge zu Louise Bourgeois von Katy Hessels “The Great Women Artists Podcast” und das Buch “Ein Gespräch mit Louise Bourgeois” mit Donald Kuspit. https://www.berlinerfestspiele.de/de/gropiusbau/ausstellungen/start.html Bücher Auch Siri Hustvedts Essayband “Mothers, Fathers, and Others” nimmt sich das Thema Mutterschaft vor, verbindet Memoiren mit Psychoanalyse, Literatur- und Kunstkritik. Demnächst erscheint die Übersetzung des Romans “Kalt genug für Schnee” von Jessica Au. Es ist die Erzählung über eine Mutter und eine Tochter; die gemeinsam Tokio erkunden. Ein eleganter Roman über Nähe und Kunst, eine geheimnisvolle und sanfte Begleiterin auf Reisen. https://www.suhrkamp.de/buch/jessica-au-kalt-genug-fuer-schnee-t-9783518430736 Musik Musik für Regenwetter https://www.youtube.com/watch?v=perTTMRpc_U Mode https://www.youtube.com/watch?v=ELOW5lHywvI Wohnen Es ist auch die Zeit, Zuhause zu sein. In der Wohnung der Künstlerin Célia Bruneau in Montmartre, die gleichzeitig auch Atelier ist, kann man sich vorstellen, den Winter in einem lichtdurchfluteten Kokon zu verbringen. https://www.youtube.com/watch?v=pZ7o3pZEcoI
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Hannah Arendt: Übergängiges zwischen Privatem und Politischem
Damit wird indirekt ein Vorurteil bedient, dem Arendt in ihrer Reaktion auf die Eingangsfrage im berühmten Fernsehinterview mit Günter Gaus (1964) zu ihrem Status als Philosophin im Kreis männlichen Philosophen (und erste in dieser Reihe portraitierte Frau überhaupt) mittelbar Vorschub geleistet hat. Vehement verwahrt sie sich zunächst dagegen, ihre Arbeiten in ‚politischer Theorie‘ mit ‚Philosophie‘ verwechselt oder gleichgesetzt zu sehen. Dieser Unterschied rangiert für sie höher als der zwischen Männern und Frauen. Als Gaus nicht locker lässt, impertinent auf die Frage der ‚Emanzipation‘ und deren Bedeutung „für Sie persönlich“ zurückkommt, wechselt Arendt die Strategie: Das Problem sei wohl immer da, habe für sie jedoch nie eine Rolle gespielt, weil sie immer gemacht hätte, was sie wollte. Aber sie fügt auf undurchsichtig schillernde Weise noch eine Bemerkung über die „fraulichen Tugenden“ hinzu, die an das Pelzjäckchen erinnert: „Es sieht nicht gut aus, wenn eine Frau Befehle erteilt …“.. Die feministische Philosophin Astrid Deuber-Mankowsky hat ohne Bezug auf dieses Beispiel (im Katalog der oben erwähnten Ausstellung) von Arendts „Politik der Desidentifikation“ gesprochen. Und damit einen wunden Punkt der feministischen Arendt-Rezeption geschickt umschifft oder auch: behutsam ummäntelt.