Wofür steht Rom?


Die Geschichte als Stadt

Normalerweise unterschätzt der Besucher die Entfernungen in einer fremden Stadt. In Berlin oder Paris will er nur ein paar Blocks laufen, weil es auf der Karte aussieht wie ein Katzensprung und dann sind es doch viele Kilometer, sodass er erschöpft aufgibt. Solche Städte bestrafen den naiven Reisenden. Rom hingegen gibt ihm recht, indem es die Abstände gering hält. Von der Villa Borghese über die Piazza del Popolo, weiter zu Spanischer Treppe, Trevi-Brunnen, Schreibmaschine, Forum Romanum und Kolosseum ist es nur ein Spaziergang. Auch von der Piazza Navona über die Engelsburg zum Vatikan ist es nicht weit und in Trastevere ist man schneller als man denkt. In Roms Zentrum ballt sich alles auf engstem Raum. 

Der Taxifahrer sagt zwar: „Rome doesn’t change“. Aber beim Gang durch die Stadt ändert sich sehr schnell sehr viel. Die Umgebung wechselt, die Monumente jagen sich. An jeder Ecke kann eines auftauchen. Eben noch in Prati gewesen, bei den Botschaften herumgestreunt, ein Eis gegessen, an den Schaufenstern vorbei, wo nichts darauf hindeutet, dass sich hier das Zentrum der Christenheit befindet, und dann taucht auf einmal der Vatikan auf. Eine Überrumpelung mitten im Spaziergang. Die fehlende geschichtliche Veränderung, von der der Taxifahrer sprach, findet geografisch statt. In Rom ist der Raum die Zeit. „Raum“, so Carl Schmitts Vermutung, kommt ja auch von „Rom“. 

Sobald man aber in die Außenbezirke gelangt, dehnen sich die Räume wieder und man ist so lange unterwegs wie in jeder anderen Stadt. Dem hochkonzentrierten Zentrum steht die Lockerung der Peripherie gegenüber. Ist nicht auch das die Verräumlichung einer uns bekannten zeitlichen Entwicklung? Sie entspricht dem Rhythmus der Globalisierung, der zwischen Expansion und Kontraktion, Intensivierung und Lockerung, Beschleunigung und Verlangsamung wechselt. So wie in den Zentren und Zentralzeiten der Kapitalakkumulation das Weltsystem Fahrt aufnimmt, ist auch Roms Zentrum konzentriert, die Peripherie dagegen aufgelockert. In Rom befindet sich das Weltsystem als Stadt. Es ringt mit sich selbst und den Versuchen, es in ein Weltreich zu überführen. Auch diese haben ihren Ursprung in Rom, das alle Weltherrscher nachzuahmen versuchten – Karl der Große, Friedrich II. (der Staufer), Karl V., der Sonnenkönig, Napoleon, die Romanows und ihre leninistischen Erben (die Idee vom einen Punkt, den man erobern müsse, um die Macht zu übernehmen, ist negativer Romismus), selbst Hitler brauchte ein römisches Vorbild, an dem er sich aufrichten konnte.

Das Vergangene tritt unvermutet auf. Der Paukenschlag des Altertums – ist das schon Faschismus? Ist er deshalb hier entstanden, wo so viel Altes anwest? Die Geschichte als Kreis, dessen zweite Runde man beginnt, wenn man voranstürmt, sodass sich selbst die Fortschrittslust als Vergangenheitsbegeisterung entpuppt – auf diesen Gedanken konnte nur ein Römer wie Julius Evola kommen. 


Altes kostet extra

In römischen Second-Hand-Länden bezahlt man für gebrauchte Sachen einen Aufschlag. Die Stücke von Louis Vuitton, Fred Perry oder Ermenegildo Zegna kosten mehr als im Original Store und selbst die nachgemachte Mode „Made in Naples“ gibt es als Neuware billiger. Die Verkäuferin sagt, die Prada-Tasche sei vermutlich gefälscht, aber immerhin schon getragen, weshalb sie 180€ vorschlage. In Rom gilt das Alte mehr als das Neue. Was benutzt wurde und eine Geschichte hat, gewinnt an Wert (Das ist eine neue Art des Gebrauchswerts: durch Gebrauch kommt der Wert in die Ware, nicht weil man sie gebrauchen kann). Aber so ist es ja auch mit den Ruinen, Barockpalästen und Kunstwerken, mit der ganzen Stadt, die von ihrem Alter lebt und sich in den Second-Hand-Shops von Trastevere treu bleiben will. 


Kleine Verschiebung

Sehenswürdigkeiten geben einen verborgenen Hinweis. In ihrer Nähe gibt es tatsächlich Erstaunliches, Sehenswertes, Sonderbarkeiten, deretwegen man in die Stadt kommen möchte. Sie selbst sind oft reizlos. Wer aber darum in den Tenor der Tourismuskritiker einstimmt, dem entgehen die verborgenen Hinweise. Er möchte die Sehenswürdigkeit so vulgär nehmen, wie er es ihr vorwirft. Seine Klage zielt auf ihn selbst, um sie anschließend zu genießen.

So ist es etwa mit der Spanischen Treppe und dem Trevi-Brunnen. Glattgezogene Orte, an denen Rosen- und Lichtfigurenverkäufer einem ihre Waren aufdrängen, Schilder zu viel erklären, Polizisten alles regeln und Restaurantbetreiber ein Bombengeschäft wittern. Wer sich aber ein wenig entfernt und durch die Straßen drumherum geht, der sieht an jeder Ecke Filmszenen: Arien, die aus Wohnungen dringen; eine Modeverkäuferin, die am Telefon über Corona als Verkaufskiller schimpft und sich nur ungern von ihren Kunden unterbrechen lässt; eine sorgfältig ausgeleuchtete, winzige Tankstelle am Straßenrand, an der ein Mann seine Zigarette raucht; eine leere Gasse, durch die eine Römerin stöckelt, bis sie hinter einer Efeuwand im Haus verschwindet; ein besonderer Einfall des Lichts durch die Pinienzweige, die ein bisschen wie Affenbrotbäume aussehen. Und überall Blumentöpfe. 

Man muss also nur ein wenig abschweifen, den Kopf etwas drehen, eine andere Route als die vorgeschlagene nehmen, zum Denkmal eine ungewöhnliche Haltung einnehmen, auf die Objekte am Wegesrand achten. Dann sind die Attraktionen gute Anleitungen. Sie haben immer recht, aber immer auf andere Weise, als man zunächst denkt. 


Wiederholungszwang

Es gibt Straßenszenen, die wirken wie aus einem Film. Andere wie aus dem Museum. Dazwischen verläuft ein schmaler Grat, aber der Unterschied ist groß: Auf der einen Seite lauern die Heerscharen von Einordnern (Marketingmenschen und Wissenschaftlerinnen), die den Geist bannen, auf der anderen Seite Poeten, die ihn offenhalten. Der Philosoph gehört zu den Poeten. Ihn bringt die Szene auf einen eigenen Gedanken, sein Treibstoff ist der Esprit, sein Glück die Zeitgenossenschaft. 

Darum ist es auch ganz falsch, was der Direktor der Bibliotheca Hertziana dem Romreisenden Simon Strauss aufs Brot schmiert. Der findet, Rom sei eine melancholische Stadt, die am Gestern hänge, worin allein die Ewigkeit aufscheine: „Rom stehe für das alte Europa, für Nachahmungseifer, Verehrungslust, Geschichtsphilosophie“, sagt der Bibliothekar. Die neuere Forschung passe darum nicht hierher: „Die Geschlechterfrage lasse sich mit einer Arbeit zu Rom nicht beantworten, nach antikolonialistischen Gewährsmännern suche man unter den Nazarenern vergebens.“ Dass ein Bibliothekar am Gestern hängt und es nur mit Handschuhen anfassen will, ist sein Job, aber daraus nun eine Tugend machen? Wo es doch vielleicht genau umgekehrt ist: Hat nicht der Geschichtsphilosoph eine Gegenwartslust, während der Museumswächter gewesenen Geist einsperrt? Hat nicht Ersterer Ideen zur Öffnung, Letzterer abschließende Zwangsgedanken? Hegel entfaltete sein gewaltiges geschichtsphilosophisches Panorama doch nur, weil er die Französische Revolution, Napoleon und den preußischen Reformstaat sehr genau beobachtet hatte und wissen wollte, wie es dazu kam. Dasselbe gilt für Marx. Und selbst Nietzsche reagiert auf den eingeschlossenen Geist des Kaiserreichs, den er für etwas Künftiges, Höheres öffnen wollte. 

Zählen zur Französischen Revolutionsidee unserer Zeit nicht Geschlechterfragen, die Eindeutigkeiten aufbrechen wollen? Und ist der heutige Napoleon nicht das vom Westen getragene Weltsystem, das seine Fühler nach dem Rest der Welt ausstreckt, der sich antikolonial widersetzt und seine Gegenschläge vorbereitet? Und ist China vielleicht die neupreußische Synthese aus Kapitalismus und Staatssozialismus, also ein geschichtsphilosophisches Ereignis? Indem er sich dazu verhält, bekommt der Geschichtsphilosoph seinen besten Stoff aus der Gegenwart, die er über die Vergangenheit legt und daraus seine Schlüsse zieht: Gern wühlt er im Alten, aber nur, wenn er etwas Neues darin erkennt. Der Prüfstein für seine Wühlarbeit ist darum die Qualität seiner Äußerungen über die Gegenwart. Ein Platon-Experte, der für die Gegenwart Plattitüden bereithält, ist als Philosoph gescheitert und taugt allenfalls als Aufbewahrer des Geistes. Für den Professor reicht das allemal, aber nicht für die Philosophin. Die Gleichsetzung des Museumsprofessors (eigentlich eine Dopplung) von „Nachahmungseifer“ und „Geschichtsphilosophie“ verdreht die Dinge: Die Geschichtsphilosophin ist ganz gegenwärtig und begeistert vom alten Stoff, dessen Wiederholung sie auf andere Weise vermutet als es der Altertumsforscher und der naive Zeitgenosse annehmen. Zwischen ihnen schifft die Philosophin hindurch. Sie geht zu beiden auf Abstand.


Hoch hinaus

Die Römer lieben ihre Dachterrassen. Sie sind groß und vollgestellt mit herrlichen Pflanzen. Der Film „La Grande Belezza“ spielt überwiegend auf Dachterrassen, wo sich offenbar die römische Schönheit aufhält. Das ist das Gegenbild zu Neapel, wo sich das Leben in den Untergeschossen abspielt. Die Neapolitaner öffnen die Türen, setzen sich auf ihre Stühle und schauen auf den Fernseher im Wohnzimmer. Von drinnen weht Essengeruch heraus und streift den Schrein der verstorbenen Eltern, der ebenfalls draußen errichtet wurde. Der Schwerpunkt ist unten, das ist auch der Grund, weshalb die oberen Etagen durch Wäscheleinen zusammengehalten werden müssen, sie würden sonst auseinanderstreben. Römer dagegen lieben es, oben zu sein. Ist es, weil sie einen Überblick über ihr Reich wollen? Eine imperiale Geste? Oder eine archivarisch-betrachtende: Seht her, das haben wir einst geschaffen, aber jetzt ist es vorbei und wir können es nur noch anschauen. Hat die Vogelperspektive ihre Geschichtlichkeit aufgegeben?

Dann wäre es ein anderes Hochhinauswollen als das der Wolkenkratzerbauer in der Nachfolge US-Amerikas. Es wäre keine Himmelsstürmerei, sondern kontemplatives Nachobengehen, um den Dingen am Boden nicht zu nah zu sein. Der Römer geht auf Distanz zur Gegenwart und dafür setzt er sich aufs Dach.


Nach oben weggelobt

In der Villa Borghese stehen eine Menge Statuen, darunter auch viele Göttinnen. Frauen als Menschen gibt es aber keine, dieser irdische Ruhm bleibt den Männern vorbehalten und das Gleichheitsversprechen wurde ins Jenseits verschoben. Offenbar konnte man sich durchaus vorstellen, dass Frauen irgendwann einmal eine Rolle spielen oder gespielt haben, aber in der Repräsentation der Wirklichkeit ist das nicht vorgesehen. Sie werden mit dem Heiligen abgespeist. Man hüte sich also vor zu viel Lob. Da will dich jemand kaltstellen.


Wille zum Weltsystem

Das Römische Reich war ein ganzes Imperium, das sich in einer einzigen Stadt bündelte. Später legte sich ein Glaube darüber, der sich in einer darin eingeschlossenen Extrastadt konzentrierte. Der Glaube befand sich im Herzen der Herrschaft, die allerdings längst verflogen war, es blieb nur ein Wille zur Macht, ein Anspruch auf Weltadel (Nietzsche musste das Christentum hassen, es war die erfolgreichste Agentur zur Hervorbringung eines reinen Willens zur Macht und er wollte sie übertreffen). Das Christentum kam in der Dämmerstunde, um Roms Erbe anzutreten. Es ahnte aber, dass es zu spät war und wollte sich und der Welt beweisen, dass es seinen ehemaligen Feind aus Rom übertreffen konnte. Daher die abendländischen Eroberungszüge – zunächst zur inneren Sammlung der Christenheit, dann ins Heilige Land und schließlich, als die Kreuzzüge scheiterten, haben die Christen Iberien erobert und sind anschließend weiter nach Afrika, Amerika und Asien gezogen. Einmal ums Heilige Land herumgeschlichen, den Herkunftsort umkreist, aber niemals zu sich selbst gefunden. Weder Roms Welt- noch Jerusalems Himmelreich gehörten ihnen, daher ihre expansive Unruhe (Italien konnte ruhiger sein, es hatte ja schon Rom und musste der Welt nichts mehr beweisen; deshalb hat es sich mit Eroberungen lange zurückgehalten). Um nicht zu platzen, hat Europa aus seiner Unruhe ein System gemacht, den neuzeitlichen Kapitalismus, der alles beschleunigt und einhegt. Er ist zugleich entfesselt und in eine Bahn gezwängt; seither tobt sich der Westen in sich selbst aus und konnte den Rest der Welt mit hineinziehen. Und selbst wenn er untergehen sollte, dann nur, weil andere ihn auf seinem wissenschaftstechnischökonomischen Kerngebiet schlagen. Für seine Dauerhaftigkeit (die auch ein Zombie sein kann) hat er gesorgt. So wie Rom die ewige Stadt ist, ist der Westen die ewige Formation. Daher kommt die Idee vom Ende der Geschichte. 


Bloß nicht nass werden

Rom ist wasserscheu. Unten am Tiber befindet sich kaum ein Mensch (nur eine Braut traut sich für ein kurzes Foto herunter, weil es hier so schön morbid ist). Der Fluss schleppt sich als zähe, trübe Masse an der Stadt vorbei. Die Boote gleichen gestrandeten Wracks, Geisterschiffen, und die Häuser am Fluss sind längst nicht so herausgeputzt wie in der Stadt; nicht einmal bei den Dachterrassen, eigentlich die römische Paradedisziplin, geben sie sich hier Mühe (In Paris dagegen befinden sich die herrlichsten Wohnungen an der Seine und die Boote sind Gauloise-Sehnsuchtsorte, die „Liberté toujours“ versprechen. Der Genuss einer Zigarette am Tiber sieht dagegen so kränklich aus wie eines dieser Drohbilder auf Zigarettenpackungen). 

Schon dass die Stadt Rom nie den Ehrgeiz hatte, sich bis ans nahgelegene Meer auszudehnen, gibt einen Hinweis auf die geistige Grundhaltung: Rom hält sich das Wasser vom Leib. Sein Element ist das Land, während das Meer seinem Konkurrenten Karthago vorbehalten bleibt. Darin unterscheidet sich das Römische Reich vom Imperium der Amerikaner, dessen wichtigste Städte New York und Los Angeles sich an Ozeanen befinden. 

Das hatte Folgen für die Herrschaftsausübung. Das Römische Reich begnügte sich nicht damit, Knotenpunkte an Handels- und Finanzlinien zu kontrollieren (so wie das klassische Seemächte tun), es durchdrang den Raum (=Rom) mit allem, was es hatte. Seine Armeen und Verwaltungen waren stärker als seine Schiffe und Händler. Es nutzte die Kolonien nicht als Stützpunkte, es bewirtschaftet sie und machte sie sich gleich. Irgendwann kamen sogar die Kaiser aus den eroberten Gebieten. Wo Rom einmal war, ging es nicht mehr weg und das war nur auf dem Land möglich, denn Wasser ließ sich nicht einfrieden. Rom bevorzugte daher festen Boden unter den Füßen. Auf ihm konnte es Städte, Straßen und Mauern errichten und auf sich ausrichten. Das Flüchtige galt ihm nichts, Rom setzte auf das Feste und Ewige und hatte damit Erfolg, denn als ewige Stadt überlebte es seinen eigenen Untergang. 

Italien ist in seiner Haltung zur Wasser-Land-Frage gespalten. Es hat Zentren im Binnenland (Rom, Mailand, Florenz, Turin) und am Meer (Genua, Venedig, Palermo, Neapel). Die Wasserstädte haben einen anderen Charakter. Genua und Venedig formten das frühe Weltsystem im 13. und 14. Jahrhunderts. Sie beherrschten Knotenpunkte in weitverzweigten Netzwerken und erfanden das koloniale Plantagensystem, das später im Atlantik übernommen wurde. Rom dagegen ist die ewige Stadt, die das Land kultiviert, aufs Meer wagt sie sich nur, um die Karthager zu schlagen, ansonsten widmet es sich seinem Projekt der Weltherrschaft auf dem Land. 

Zwischen diesen beiden Stadttypen spielte sich die Geschichte Italiens ab, die zugleich für mehr stand: Wasser oder Land, Weltsystem oder Weltreich, das ist nach Immanuel Wallerstein die Geschichte der Neuzeit. Sie entspricht derjenigen Italiens, das sich darin ebensowenig entscheiden konnte wie die Welt, weshalb beide jahrhundertelang zersplittert blieben. Italien wurde irgendwann vereinigt, die Welt wartet noch darauf. Im Falle Italiens wurde es dadurch nicht besser. Es ist nicht einzusehen, warum es bei der Welt anders sein soll. 


Am Ende geht’s von vorne los

Was bedeutet nun der Vatikan? Wer sich ihm von der Engelsburg her nähert, läuft hunderte Meter auf eine herrschaftliche Palastanlage zu. Man weiß nun, woher der Sonnenkönig seine Versailles-Idee hatte, die einen ähnlich imposant begrüßt. Der Obelisk auf dem Petersplatz wiederum wird Napoleon zu seiner Raubaktion inspiriert haben, sodass er sich seinen ägyptischen Obelisken auf die Place de la Concorde stellen konnte. Und Petersdom, Platz, Kuppel und Achse zum Zentrum dürften Albert Speer beim Anfertigen seiner Germania-Pläne interessiert haben. Kurzum: Wer in Europa weltherrschaftlich dachte, wollte dies durch Nachahmung vatikanischer Formen zeigen. 

Doch wir finden hier nicht nur die Vorlage für Steinbauten, sondern für ganze Geschichtsbilder. Die Rundgänge zwischen Petersdom und Ausgang in Richtung Stadt bedeuten Folgendes: Am Anfang steht der Petersdom, der das messianische Ereignis meint. An ihn schließen sich die beiden Rundgangsflügel an, in denen alles ewig wiederkehrt, ereignislos und gleichförmig. In dieser Zeit gibt es verschiedene Reiche (daher der Obelisk in der Platzmitte), die ums Ende der Zwischenzeit ringen. Unter ihnen gibt es Beschleuniger, Aufhalter, Schließer und Öffner. Die christliche Deutung besteht nun darin, dass es einen guten Ausgang gibt. Deshalb öffnet sich der Kreis an einer Stelle gegenüber dem Petersdom. In der Regel wird sie von Besuchern benutzt, um sich in die Schlange zum Petersdom einzureihen, aber eigentlich ist sie für den Messias gedacht, wenn er einmal wiederkommt – um seinen Eintritt in die Geschichte (Petersdom) durch einen Austritt am gegenüberliegenden Punkt des Kreises zu beenden. Seine Linie teilt den Kreis und spricht ein Urteil über die bisherige Geschichte. So verbinden sich Zyklizität und Linearität miteinander und das gesamte hegelsche Geschichtsbild ist hierin schon enthalten. Aber wohin führt der Ausgang? Geradewegs zurück zur Burg des Kaisers und nach Rom, wo alles angefangen hat und wogegen das Christentum einst entstanden ist. Auch der Messias entkommt der Dialektik nicht.

Eine Antwort zu „Wofür steht Rom?”.

  1. […] Noch mehr zu Italien finden Sie in Motiz Rudolphs Essay „Wofür steht Rom?“, der im Blog des von ihm mitherausgegebenen Magazins Agave erschienen […]

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