Hip-Hop, Knüppel auf’n Kopp

Im ZEIT-Podcast hat sich Jens Balzer darüber beschwert, dass Elektromusik im Feuilleton zu kurz kommt – anders als zum Beispiel Hip-Hop. Er erklärt das damit, dass Hip-Hop etwas für Leute ist, „die sonst keine Musik hören“ (Haftbefehl nennt er den „neuen Peter Maffay“) – allseits beliebte „Stubenhockermusik“, während man für den Rave immerhin seine Wohnung verlassen muss. Elektro verlangt einem viel ab, darüber kann nicht jeder schreiben.

Lassen wir uns für einen Moment auf diese Frontstellung ein und fragen wir nach dem jeweiligen Szenecharakter. Ist es dann nicht genau umgekehrt? Ist nicht der Rave das laue Lüftchen am Ende der Woche, Hip-Hop aber eine Lebenshaltung? Zur Rapmusik verlangt er die richtigen Klamotten, eine eigene Sprache, Basketball als Sport und eine Gangmitgliedschaft bis hin zum Bandenkrieg. Man hat noch nie von einem Raverkrieg gehört. Da gibt es höchstens Probleme mit Drogen, Gedränge oder die soldatische Einreihung in bestehende Formationen (so wie Ernst Jünger, der „erste deutsche Raver“, wie die Junge Freiheit schrieb). Der Rave zieht keine neuen Fronten, während East und West Coast für ihre Sache sterben würden. Hip-Hop ist höchste Intensität und Milieuschöpfung.

Rave ist dagegen das, was man am Wochenende tut. Raver sind die eigentlichen Stubenhocker, die wochentags ins Büro oder zur Uni gehen und Freitagnacht in den Club. Seit dem Ende der Loveparade findet der Rave nicht mehr draußen statt (abgesehen von kleineren Festivals im Sommer, aber das Hauptprogramm läuft abgeschirmt und weggeschlossen im Tresor oder Berghain). Hip-Hop hört dagegen niemals auf, er begleitet einen Tag und Nacht und duldet keine Pause. Und so ist auch der Vorwurf merkwürdig, dass Hip-Hop Musik für Leute sein soll, die sonst keine Musik hören. Der Hip-Hopper hört seinen Rap auch dann noch, wenn die Musik aufhört zu spielen. Er ist das, was Nietzsche von der Philosophie verlangte. Der Tekker dagegen spürt nichts von seinem Wochenendrave, sobald die Wirkung der Pillen nachgelassen hat und er wieder brav am Schreibtisch sitzt. 

Mir scheint: Der Techno-Liebhaber Balzer setzt hier den Feuilletonsnobismus der Klassikfreunde fort. Hinter seiner Spitze gegen das Altfeuilleton, das gern in Museen und Opern gehe, weil man das schon immer so gemacht habe, steckt nur der Wunsch, sich selbst dort breitzumachen, um Gedöns wie Rap und RnB beiseite zu schieben. Irgendetwas ist mit den Anhängern der textlosen Musik: Sie kompensieren die fehlenden Lyrics durch gepflegtes Naserümpfen. Ihre fein säuberliche Sphärentrennung zwischen Wort und Ton, Musik und Leben ist bürgerliches Unbehagen an der Intensität. Die Hip-Hop-Totalität ist ihnen zu heftig, zu krass. Damit reihen sie sich in eine bekannte Front ein: Linksliberale mögen nunmal keine migrantische Arbeiterkultur. Das setzt den wilhelminischen Hass auf die „heimatlosen Gesellen“ fort, wie man im 19. Jahrhundert Sozialdemokraten nannte. 

Gleichzeitig lassen sich die Raver für ihren Kosmopolitismus feiern, weil sie, so Balzer, heute in Berlin, morgen in London und anschließend in Tiflis auflegen. Mit Kosmopolitismus hat das so viel zu tun wie Aida-Kreuzfahrten oder das Leben eines Fußballstars: Nur weil man Verschiebemasse ist, die in den ewiggleichen Hotels schläft, ist man noch lange kein Weltbürger. Die drücken sich in den „schwierigen“ Vierteln herum, in La Courneuve, in der Bronx oder in Neukölln. Dort ringen sie mit dem Weltsystem, während sich die Raver dem Takt der Maschine anpassen. So schleicht sich die Totalität bei ihnen doch noch ein und die schöne Sphärentrennung ist dahin. Was bleibt, ist ihr zersplittertes Bewusstsein und die Beruhigung, nicht ganz so krass zu sein wie die wahren Kontrahenten: Weltsystem und Hip-Hop.

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