Till berichtete mir von haarsträubenden musiktheoretischen Fehlern in Adornos Jazz-Kritik. Offenbar verwechselte er grundlegende Begriffe und Schönberg wird seine Gründe gehabt haben, warum er nicht viel von ihm hielt. Adorno hat aber immer behauptet, sich nie entschieden zu haben zwischen Komposition, Musiktheorie und Philosophie und seine komplizierte Utopie (die wiederum keine sein will) sei ein Produkt der Musik.
Vielleicht stimmt ja beides – Adornos Dilettantismus in der Musik und der Vorteil, den er daraus fürs Philosophieren zog. Dann müssen wir die These, der Philosoph brauche die Verwurzelung in einer Ankerdisziplin, um den Gedanken ins Rollen zu bringen, modifizieren: Vielleicht braucht er ein Nebenfach, das er als eigentliches Hauptgebiet verehrt, mit dem er sich ständig beschäftigt, in dem er aber dilettiert, die Fachwelt verärgert und aus dem er sich bloß herausbricht, was ihm nützlich ist. Vielleicht benötigt er einen solchen Steinbruch, den er verunstalten kann und an dem er sich schamlos bedient, um der Philosophie ihren Stoff zu geben. Denn das Denken ist nie korrekt, sondern immer nur waghalsig und das sprengt jede Disziplin. Der Flegel aus der Philosophie erschreckt die Experten. Er setzt sich über alle Grenzen hinweg und schafft dabei nicht einmal etwas Neues, das für ihr Fach von Wert wäre – wohl aber für die Philosophie.
Mit Nietzsche und der Musik muss es ähnlich gewesen sein – Cosima soll gekichert haben, als er im Hause Wagner seine Stücke auf dem Klavier vorspielte; und die Altphilologen haben ihn nicht ernst genommen. Dennoch speiste sich seine Philosophie aus der Musik und dem Griechentum. War es mit Benjamin und der Literatur nicht ähnlich? Seine Habilitationsschrift über den „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ wurde abgelehnt, was heute als „größter Skandal in der Geschichte der Germanistik“ (Dirk Oschmann) gilt. Aber vielleicht war die Ablehnung ja gerecht und machte den Philosophen Benjamin erst möglich. So geht es weiter: Foucault hüpfte derart unbekümmert durch die Geschichte des Abendlandes, dass es den Historikern den Atem verschlug; aber seinem Denken tat es gut. Und bei Hegel haben wir den besonderen Fall, dass er alle Disziplinen (Naturwissenschaften, Theologie, Rechtswissenschaft, Politik, Kunst, Geschichte etc.) durchpflügte, verunstaltete und gerade deshalb ein so großer Philosoph werden konnte. Er saugte sie aus und wuchs daran wie ein Vampir.
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