War Friedrich Kittler nun wirr oder genial? Weder aus den Schriften noch aus den Fernsehinterviews werde ich schlau. Ein Altherrending allein kann sein fahrig-bescheidwisserisches Auftreten nicht sein. Mich erinnert er an jemanden, der erst Mitte 30 ist und ebenfalls die Philosophie in Technikwissenschaft überführen will (Kittler wollte ja mal den Geisteswissenschaften „den Geist austreiben“, weil der jetzt in den Dingen schlummere). Die Schriften schaffen noch mehr Unklarheit als das Interview mit Alexander Kluge. In einem Aufsatz benutzt er Heidegger für seine These vom Vorrang der Technik. Überhaupt ist der für ihn der Größte (seine Geschichte der abendländischen Kulturwissenschaft lässt er in Heidegger gipfeln). Das ist witzig, weil Heidegger niemals von der Philosophie in die Wissenschaften herabgestiegen wäre. Dass ausgerechnet der Philosophenkönig zum König des Antiphilosophen wird, ist eine hübsche Umkehrung. Hans Ulrich Gumbrecht hat bei Suhrkamp eine Aufsatzsammlung herausgegeben und ist Kittler-Anhänger. Nur mit Kittlers Antiamerikanismus will er sich nicht so recht anfreunden (Der widerspricht schließlich seiner Silicon-Valley-Existenz). Bei Gumbrecht wird Heidegger zu einem amerikanischen Philosophen und das ist natürlich der totale Wahnsinn. Diesen Weg hat ihm Kittler geebnet.
Meinen Freund Till erinnert das Kittler-Video an Dr. Axel Stoll. Ich hatte zunächst an jemand anderen gedacht, stieß durch diese Bemerkung jedoch auf eine tiefere philosophisch-habituelle Verbindung: Was Stoll, Kittler und der Philosoph, an den mich Kittler erinnert, gemeinsam haben, ist ihr rechthaberischer Materialismus. Sie räumen der Materie, die sich selbst bewegt, einen Vorrang ein. Nun könnte man meinen, diese Gewissheit mache sie ruhig und sanft. Aber das Gegenteil stimmt: Sie sind aufbrausend und apodiktisch. Das könnte daher kommen, dass sie glauben, das Objekt habe den Vorrang und sie können es erkennen, müssen dafür aber zunächst daran glauben, und das macht sie stutzig und wütend. Dass sie meinen, durch Versenkung ins Fach (Physik, Ökonomie, Informatik) das Welträtsel knacken zu können, macht sie zu den eigentlichen Idealisten, da sie Erkenntnismöglichkeiten fürs Ganze behaupten, indem sie ein isoliertes Ding betrachten. Derart idealistisch programmiert, müssen sie jeden Idealismuskonkurrenten ausschalten; die Nähe zwingt sie zur Härte, um selbst daran glauben können. Das macht sie zu Leuten der Inquisition. Vielleicht steckt aber auch eine Todessehnsucht dahinter: Insgeheim wünschen sie sich, dass es kein Leben gibt, damit das Universum tatsächlich so funktioniert, wie sie es postulieren. Daher ihr aufgeregtes Belehren und ihre Reizbarkeit bei Widerspruch.
Wo er ehrlich mit sich selbst ist, kippt sein Materialismus wieder. Kittler interessiert sich nämlich für die Wiederkehr der Götter und sieht sich dafür auf allen Feldern um – Jimi Hendrix, Quantenphysik, griechische Mythologie, Buchdruck + Schießpulver = Beschleunigung des Weltgeistes, Napoleon als Schöpfer des Telegrafen, Raketentechnik, Computer. Am Ende findet er eine andere Möglichkeit als Marx, Hegel auf den Kopf zu stellen, erhält ihn damit aber auch am Leben. Seine Texte sind auf seltsame Weise elegant. Man versteht alle Einzelsätze, aber oft nicht, was sie zusammen bedeuten. Sein Stil ist kristallklar und vollkommen dunkel zugleich – so ähnlich muss man sich vielleicht die Computergötter vorstellen, deren Wiederkehr er performt. Seine Begriffskunst ist wuchtig-plötzlich wie göttliche Interventionen („Der Blitz ist da“, „Nacht der Substanz“ „Das Leben des Kaisers“, „der leuchtende Teil der Natur“).
Und schließlich gibt es da eine Namensverwandtschaft zu Heinz Dieter Kittsteiner. Auch er, fast derselbe Geburts- und Todesjahrgang, betrieb hochambitionierte Kulturgeschichte mit Heidegger. Bei Kittsteiner kam Marx dazu, bei Kittler die Technikwissenschaft – obwohl ja Kittler aus dem marxistischen Osten kam und Kittsteiner aus der westdeutschen Welt des verrechnenden Denkens. Man hätte es also genau umgekehrt erwartet. Einig waren sie sich in ihrem Antiamerikanismus. Beide lebten nach dem Mauerfall in Berlin, der Stadt des Posthistorie und der Subjektmelancholie. Ob sie sich je begegnet sind? Vielleicht bilden Kittler und Kittsteiner eine neuberliner Konstellation, die sich im gemeinsamen Namensrumpf zeigt. „K.I.T.T“ hieß das Auto Michael Knights aus der 80er-JahreSerie „Knight Rider“. Es war mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und unterstützte sein Herrchen beim Kampf für Gerechtigkeit. Verbindet sich hierin nicht Kittlers KI-Versessenheit mit Kittsteiners Erlösungsidee? Dass die Revolution nicht möglich sei, war ein Glaube der Nachwendezeit, dem beide anhingen – Kittsteiner aus sozioökonomischen, Kittler aus technologischen Gründen. Wenn man sie aber ineinander montiert, heben sich vielleicht beide Verhärtungsdiagnosen auf und wir bekommen den „Fully Automated Luxury Communism“: https://www.versobooks.com/books/3156-fully-automated-luxury-communism
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