Sommerbeben. Über Revolution und Jahreszeit

Es ist Sonntag, heiß, schwül und unruhig: Ein Auto wird von zwei Polizeiwagen um den Park gejagt, Motorräder heulen auf, zwei Kinder balgen sich in ihrem Fahrradanhänger, seltsame Gestalten drücken sich im Schatten der Häuser herum, viele joggen, um sich abzureagieren. In der schwülen Hitze fühlt man sich klebrig, müde und tatendurstig zugleich und spürt: So kann es nicht weitergehen. Das ist der Nährboden für gesellschaftliche Umwälzungen.

Revolutionen gelingen im Sommer: 1776 (4. Juli) und 1789 (14. Juli) zeigen, dass in der Gluthitze etwas Neues entstehen kann. Die Julirevolution vertrieb 1830 die Bourbonen endgültig von der Macht. Die deutschen Revolutionen dagegen mussten scheitern, weil sie entweder zu früh (März 1848) oder zu spät (November 1918 und 1989) kamen; ganz finster wurde es, wenn sie in den Winter fielen (Januar 1933). Dass die Deutschen dennoch ihre Herbst- und Frühjahrsrevolutiönchen feiern wie ihre Buchmessen (die das laue Spektakel rahmen), zeigt, dass sie an Veränderungen nicht interessiert sind. So gedenken sie zweier Scheinereignisse, deren Aufbruchstimmung schnell verebbte, sodass ein halbgares System (1918) oder ein Anschluss (1989) – jedenfalls nichts Neues – dabei herauskam.

Während sie ihre revolutionären Energien also sinnlos im Herbst verschleuderten, führten die Deutschen im Sommer ihre Kriege (1870, 1914, 1939). Würden sie hier mal ihre Revolutionen machen, könnten die auch gelingen. Aber das will die Ordnung natürlich verhindern. Jetzt verstehen wir auch die Funktion der Sommerpause, in der es Sportereignisse, Grillabende und lange Ferien gibt. Die Sommerpause stellt die politischen Aktivitäten unter eine Käseglocke, man fährt in den Urlaub, lenkt sich ab und wenn man zurückkommt und das Leben wieder hochgefahren wird, ist schon Herbst und die Ordnung hat das Schlimmste überstanden – oder bereits einen Krieg angefangen.

Die Logik der Jahreszeiten ist auch der Grund, warum die Oktoberrevolution 1917 scheitern musste und einen autoritären Staatskapitalismus hervorbrachte, der nichts Neues war. Ähnlich ist es mit Kerenskis Februarrevolution. Die Pariser Commune hatte im März 1871 ebenso schlechte Karten wie der Spartakusaufstand im Januar 1919. Und wer weiß, was möglich gewesen wäre, wenn der Mai 68 in den Juni gefallen wäre. Die Gelbwesten konnten im November 2018 genauso wenig ausrichten wie die Vorortkrawalle im Oktober/November 2005. PEGIDA ist eine typisch deutsche Herbstbewegung, die nur so tut, als wäre sie eine Revolution. Der Euromaidan, ein Novemberkind, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ähnlich der Arabische Frühling, der im Dezember begann. Ganz übel entwickelte sich die Iranischen Revolution, die im Januar ausbrach.

Die Kubanische Revolution hingegen, durchgeführt von der Bewegung 26. Juli, löste immerhin einen Vasallen aus der US-Einflusssphäre heraus und widersprach damit der Monroe-Doktrin (vielleicht ein Modell fürs nachamerikanische Zeitalter?). Zugleich brachte sie ihren romantischen Che-Kommunismus mit der kapitalistischen Populärkultur zusammen. Damit schuf sie eine kommunistische Soft Power, die weit in den Westen hineinstrahlte. Auch das war neu und nahm die sich abzeichnende Synthese aus Kapitalismus und Kommunismus vorweg, deren eifrigster Vorbereiter China ist.

Aber für einen wirklichen Paukenschlag reicht auch das noch nicht. Dafür müsste es eine richtig fette Sommerrevolution in einem Kernstaat geben – in den USA, in China, vielleicht auch in Europa. Dann könnte die Geschichte doch noch anders ausgehen, als man immer dachte.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: